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Von Herz zu Herz

«Es geht nicht mehr», schluchzt Frau Ems. Tränen tropfen in ihre Maske. «Ich kann jetzt gar nicht mehr mit ihm sprechen. Vorher habe ich ihm Fotos gezeigt von früher. Er hat nichts mehr erkannt, nicht die Familie, nicht unsere Reisen, nichts mehr! Und dann ist er plötzlich aggressiv geworden. Die Pflege meinte, es sei besser, wenn ich jetzt gehe. Aber er braucht mich doch jetzt ganz besonders…?!»

Ein wenig höre ich noch zu, aber Frau Ems ist zu erschöpft und aufgewühlt. Jetzt erst mal heim, sich ausruhen. In ein paar Tagen wollen wir uns wieder sehen, zu dritt, bei ihrem Mann, auf der Demenzstation.


Herr Ems spricht kaum noch ganze Worte. Lautmalerisch beschreibt er seine Wirklichkeit. Sein Blick entgleitet dem verängstigten Gesicht der Frau, mit der ihn über 50 Jahre Lebensweg verkitten. «Schau, da waren wir auf Malta, weisst Du noch?» sagt sie, als ich mich zu ihnen geselle. «Und das ist Freddy, dein Bruder.» Er starrt auf die Bilder, als ob er fliehen möchte vor der Konfrontation…


«Haben Sie sich früher die Hand gehalten, als sie jung waren?» Sage ich, als wir so zusammensitzen. Frau Ems runzelt die Stirn. Diese Frage will so gar nicht passen! «Manchmal.» Schliesslich legt sie das Album weg und nimmt seine Hand. Still sitzen wir da, sie beginnt, die Hand ganz leicht zu tätscheln. «Erinnern Sie sich ganz innerlich im Herzen, wie schön es war damals?» Die Tränen steigen wieder auf, aber sie lächelt. «Ja». – «Was meinen Sie, ob Sie von Herz zu Herz diese Erinnerung ihrem Mann kommunizieren können, ganz ohne Worte?» Frau Ems schliesst die Augen, weint und lächelt und tätschelt weiter.


Auf einmal wendet sich Herr Ems ihr zu, ein tiefer, lichter Blick. «Peter?» und schon versinkt er wieder in seiner Welt. Ihr Atem geht tiefer. Still liegt ihre Hand seiner, und nun ist er es, der unbeholfen tätschelt... «Sie haben sich verstanden?» höre ich mich sagen. «Ja», klingt es fast heiter. Und nun trifft auch mich sein klarer Blick. Er lässt mich strahlen wie bei einem unerwarteten Wiedersehen: «Sie verstehen sich?» Herr Ems drückt die Hand seiner Frau, schaut sie an und sagt: «Bis zum geht nicht mehr…!»

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