Auch heute mag Frau Kaiser nicht mit den anderen Bewohnerinnen und Bewohnern sitzen. "Möchten Sie nicht auch kommen? Wir spielen ein Spiel!" Frau Kaiser lächelt und schüttelt den Kopf. Zufrieden sitzt sie in einer schattigen Nische des Flurs auf der Demenzstation bei einem kleinen Tisch. Auf ihrem Rollator hat sie eine ovale Korbtasche, darin liegt einer grossen Puppe, halb in ein hellblaues Handtuch gewickelt. Sie ist alt und ich erkenne ein rotes Kleid, das sie trägt, mit einer Schürze, die vermutlich einmal weiss gewesen war. Ihre braunen Haare sind zerzaust.
Liebevoll streichelt Frau Kaiser die Puppe und deutet dann auf die abgebrochenen Fingerchen: "Die sind kaputt, doch es tut nicht mehr weh..." in wiegendem Singsang wiederholt Frau Kaiser ihre Worte. "Es tut nicht mehr weh, da bin ich aber froh!" antworte ich, und Frau Kaiser lächelt.
"Ist das Ihres?" frage ich schliesslich. Frau Kaiser schüttelt den Kopf: "Nein, das ist nicht meins, das habe ich auf der Strasse gefunden!" "Auf der Strasse gefunden?" frage ich erstaunt. "Es gibt viele, wenn die Bomben kommen...!" und plötzlicher Schmerz und Traurigkeit überziehen wie dunkle Schatten ihr Gesicht. Ich spüre die Gänsehaut auf meinem Arm. Wir sitzen still.
"Hat es einen Namen?" frage ich nach der langen Pause. Frau Kaiser zuckt mit den Schultern und lächelt wieder. "Lassen wir es jetzt schlafen, solange es ruhig ist. Hier ist es ruhig."
"Sie haben recht, lassen wir es schlafen. Hier ist es ruhig."
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