Seit Tagen wirke Frau Monet bedrückt, traurig und verlorener als sonst, berichtete die zuständige Pflege. Vielleicht könne ich ihr ein wenig Gesellschaft leisten?
«Gesellschaft leisten»? Ein Codewort für für viel mehr: einen Moment der Geborgenheit, des sich erkannt und anerkannt Erfahrens, auch wenn man sich selber vielleicht mehr und mehr verliert...
Frau Monet erkennt mich nicht, obwohl ich sie regelmässig besuche. Die Masken dieser Covid-Zeit machen die Begegnung nicht leichter. Ich gehe auf sie zu, langsam, mimisch, mit ausgebreiteten Händen und grossen Augen: «Ahh! … Schöön!». Frau Monets Gesicht erhellt sich. Ich sage ihren Namen, doch dann wird der Inhalt der Worte sekundär. Ihre Bedeutung hingegen tritt hervor. Silben beginnen über Frau Monets Lippen zu plätschern. Ihre Not sucht sich einen Weg durch das steinige Bachbett ihrer Demenzerkrankung. Sie lebt auf, gestikuliert und berichtet auf ihre Weise, was sie so sehr bewegt im Moment.
Mit Zeichen des Erstaunens, mit Nicken, und mit Augen, die für das unter der Maske halb verborgene Gesicht zu kompensieren versuchen spiegle ich ihr Erzählen. Im Zuhören versuche ich zu zu-fühlen und aus dem farbigen Faden der Silbenkette zu erahnen, aus welchem Stoff ihr Leben ist.
Frau Monet wird bestimmter. Einzelne Worte schälen sich heraus. «Genau!» sage ich als ich eines verstehe. «Sehr gut!». «Das haben Sie gut gemacht! Meine Kollegin schaut zu Ihnen. Sie dürfen sich drauf verlassen.» Frau Monet nickt bestimmt und sagt: "jawohl!"
Tonfall und Rhythmus der angeregten Konversation verändern sich. Zufriedenheit scheinen einzukehren bei Frau Monet. Am Ende sitzen wir da. Silbenlos, im stillen Einvernehmen.
«Es ist gut, dass wir hier sind!» sagen ich schliesslich. Und deutlich kommt ein «Ja!» «Ich habe mich gefreut! -- Danke für dieses Gespräch! -- Darf ich Sie wieder besuchen?» Frau Monet strahlt: «Jajajajaja, sicher!» Mein maskiertes Gesicht strahlt zurück. «Danke! -- Bis bald!» Ich weiss nicht, was Frau Monet beschäftigt hat. Aber ich möchte hoffen, dass sie spürt: «Wir haben uns verstanden.»
Comments